Leichtigkeit und Wärme gefällig? Sehr gerne präsentiere ich Ihnen dazu Michaelas bebilderten Pilgerglück-Artikel zum Auftanken! Lesedauer? Beliebig – bis sich eben Leichtigkeit und Wärme ausreichend eingestellt haben. Viel Freude damit!
Artikel vom 1. August 2020:
Folge der Muschel und du findest den nächsten Stempel. Oder darf es doch etwas mehr sein?
Wie jetzt – nun doch mehr? Weniger wollte ich doch eigentlich üben. Und was ist nun mein Fazit nach 9 Tagen „Einfachgehen“? Alles war genau richtig! Alles in meinem Tempo. Nach meinen Bedürfnissen. In meiner Menge. Die vergangenen 9 Tage waren einfach genau richtig für mich.
Erstmal was für alle Faktenliebhaber
Gezählt & dokumentiert: 10 Tage | Etappe 0: 24.6.20 | Etappe 1-9: 21.-29.7.20 | 197 km | allein | zu Fuß | von Wuppertal über Köln nach Aachen | Rheinischer Jakobsweg | 7 kg auf dem Rücken | 37 Stempel | 1 Bierdeckel | 15 vierblättrige Kleeblätter | 1 Schildkröte | 9 Postkarten | 200 Bäumchen | 1 ganz besondere Begegnung
Nicht gezählt & dokumentiert, doch auf jeden Fall reichlich vorhanden: Muscheln | Sonne | Hummeln | Jakobskreuzkraut | Huftiere | Schmetterlinge | Kirchen | Kreuze | Kerzen | Waldwaldwaldwaldwald
Finale am 29.7.20 vor der Jakobskirche in Aachen. Der letzte Stempel hat gerade noch in den Pilgerausweis gepasst.
Hier die Etappen im Einzelnen:
- 24.6. | 18,2 km | Auftakt vorab von Zuhause aus zum Startpunkt in Wuppertal-Beyenburg | siehe unten „Einfach gehen. Geht das?“
- 21.7. | 22,4 km | von Wuppertal-Beyenburg über Remscheid-Lennep nach Wermelskirchen
- 22.7. | 18,1 km | von Wermelskirchen durch das Eifgental nach Odenthal
- 23.7. | 24 km | von Odenthal über Dünnwald zum Kölner Dom
- 24.7. | 17,9 km | vom Kölner Dom nach Brauweiler
- 25.7. | 20,8 km | von Brauweiler über Königsdorf-Frechen und Horrem nach Kerpen
- 26.7. | 22 km | von Kerpen über Golzheim und Merzenich nach Düren
- 27.7. | 22 km | von Düren über Wenau nach Schevenhütte
- 28.7. | 24,2 km | von Schevenhütte über Kornelimünster nach Burtscheid
- 29.7. | 7,4 km | von Burtscheid über den Aachener Dom zur Jakobskirche in Aachen
Worüber ich mich besonders gefreut habe
Die Muscheln, die mir den Weg gezeigt haben. Mal von ihrer eigentlichen Bedeutung als Pilgerwegweiser (ursprünglich zum Wasserschöpfen genutzt) abgesehen, symbolisiert die Jakobsmuschel für mich die Offenheit. Wie die Muschel will ich in alle Richtungen offen und dabei an der Wurzel gefestigt sein. Wie eine Kammmuschel möchte ich meinen Weg durch die Wellen selbst bestimmen und mich nicht treiben lassen müssen. Und jedes Muschelsymbol am Wegrand hat mir versichert: „Ja, ich bin auf dem richtigen Weg.“ So eine Bestätigung tut nicht nur im Alltagsleben gut – inbesondere in den internetfreien Waldgegenden war das bei meinem wenig ausgeprägten Orientierungssinn immer wieder höchsterfreulich 😉
Maximal bis zum nächsten Stempel denken. Mit diesem einfachen Grundprinzip ist so Einiges zu schaffen. Die nächste Stempelstation entdecken und erkunden. Den Stempel oder den Stempelbeauftragten ausfindig machen. Das war aufregend. Und jeder Stempel im Pilgerausweis ein kleiner Meilenstein. Die Stempel gibt’s in Kirchen, Cafés, manchmal zum Selbststempeln, manchmal wird er verabreicht – in Golzheim sogar in zwei Privathaushalten. Und vereinzelt gibt es auch Pilgerbücher, also so eine Art Gästebuch/Poesiealbum von und für Pilger.
Licht verschenken. Ungefähr 30 Kerzen hab ich wohl angezündet und dabei gute Wünsche für so einige liebe Menschen versendet, die es (aus meiner Sicht) gerade gut gebrauchen konnten. Auch für mich natürlich 😉
Ordnung und Klarheit schaffende Rituale. Jeden Abend hab ich über eine kleine Mindmap in meinem Pilger-Journal den Tag reflektiert. Erst ein bißchen Faktensammlung und dann ging’s weiter mit diesen Fragen:
- Worüber hab ich mich heute besonders gefreut?
- Welche Erkenntnisse nehme ich aus diesem Tag mit?
- Wem habe ich heute eine Freude gemacht?
- Wen möchte ich jetzt noch mit einer Pilgerpostkarte und wen mit einem Bäumchen-Geschenk erfreuen?
Daraufhin hab ich die entsprechende Pilgerpostkarte angefertigt und für jeden gelaufenenen Kilometer ein Bäumchen über Plant for the Planet als Baumgeschenk gepflanzt. Kurz vorm Augenzufallen hab ich meinen Tag dann immer noch in einem kurzen, müden Videolog festgehalten und dann durchgeschlafen wie ein Stein.
Diese angenehm kindliche Leichtigkeit. Vielleicht waren es all die besonderen Rahmenbedingungen. Die haben offenbar positiv belegte Kindheitserinnerungen bei mir erweckt. Schnitzeljagd, Zeltlager-Waldralley, Sticker sammeln, Poesiealbum-Einträge erstellen, Fleißstempelchen bekommen. Solche Assoziationen liegen ja wohl auf der Hand. (Passend finde ich auch sowas wie spirituelles Geocaching – aber Geocaching gab’s in meiner Kindheit noch nicht.) Jedenfalls war das Kindliche in mir präsent: Ich konnte staunen, verweilen, mich wundern, mich an kleinen Dingen erfreuen, die Zeit vergessen. Ich war unbekümmert. Mutig. Sorgenfrei. Bewegung im Außen, Ruhe im Innen. Irgendwie wurde das alles auf einmal leicht.
Vom Glücksklee gefunden. Ganz verrückt. Sonst suche ich immer nach vierblättrigen Kleeblättern – auf dieser Reise war es irgendwie anders herum: die Kleeblätter haben mich im Vorbeigehen geradezu angelacht. Insgesamt 15 Stück. Insbesondere unterwegs von Düren nach Wenau. Die 9 an diesem Tag eingesammelten haben ihr Glück am Abend in Schevenhütte ordentlich versprüht. Mehr zu diesem ganz besonderen Ort und dem Glücksspektakel weiter unten.
Ein Fest für die Sinne. Die intensiven Düfte. Vor allem im Wald. Das Surren der Insekten. Das Plätschern von Bächen. Die vielen kleinen Entdeckungen am Wegrand. Sonne und Wind auf der Haut. Die Bewegung spüren. Die leckere Pilgerpraline zum Stempel in Wermelskirchen. Das finale Nutella-Bananen-Crêptakel in Aachen. Ja, eindeutig eine sinn-volle Reise.
Begegnungen. Die für mich erstaunlichste war die mit der schwimmenden Schildkröte, die in Köln ganz flott den Aachener Weiher durchquert hat. Aber auch ansonsten war so einiges geboten: Pferde füttern, Ziegen streicheln, Kühe gucken. Schwäne, Enten, Gänse, Hühner, Katzen, Hunde. Singende Vögel, surrende Insekten. Einfach schön. Außerdem sehr nett: Plaudereinheiten mit Hundespaziergängerinnen im Eifgental. Der Mann, der sich so gefreut hat, dass ich sein Auto angeschoben hab. Der kleine Junge, den ich mit meinen Kleeblättern begeistern konnte. Die familiäre Nachmittagspause im Café-Kiosk in Horrem mit Eigentümerin, Mutter, Schwester, zwei lustigen Hunden und noch mehr lustigen Geschichten. Der kleine Mann mit Walkingstöcken, der mich durch sein Tempo und sein Erzählen gefühlt die letzten Kilometer nach Kornelimünster getragen hat. Der besonders dankbare Bettler in Düren. Wunderbar waren auch die Fern-Begegnungen, die Momente oder kurze Teile des Weges begleitet haben. Und auch die Begegnung mit mir selbst hat gut getan. Ich bin echt sehr gerne mit mir allein und bin dafür sehr dankbar. Am eindrucksvollsten und überraschendsten war jedoch die folgende Begegnung.
Die Begegnung mit Schevenhütte. Und einem ganz besonderen Stammtisch.
Tag 7. Nach über 20 km erreiche ich gegen 20 Uhr das Dörfchen Schevenhütte. Status: Mein eigentlich angedachtes Hotel ist geschlossen, mein Akku fast leer, kein Internet, seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Laune erstaunlich gut. Kein Wunder. Ich hatte ja im Tagesverlauf 9! vierblättrige Kleeblätter eingesammelt. Was soll da schon schief gehen?
Die Leute, die ich auf der Straße angesprochen hab, meinten allerdings, in den Nachbardörfern gäbe es auch nichts. So bin ich einmal den Ort rauf und runter gelaufen und dann wieder an der Josefskirche gelandet. Dort hatte ich mich kurz zuvor schon über den Stempel und das dort ausliegende Pilgerbuch gefreut, dem ich einen kleinen Eintrag zusammen mit einem der tagaktuellen Kleeblätter verpasst hatte.
Da erst war mir die Mini-Kneipe gegenüber aufgefallen, in der gerade einige Männer ihr Feierabendbier zelebrierten. Oder war das was Privates? Ach, ich geh einfach mal gucken. Tja, von innen sah das doch recht übersichtlich aus. Dennoch die (etwas verzweifelte) Frage „Haben Sie vielleicht ein Zimmer für mich?“ – Na, wenn das mal keine Stammtisch-Steilvorlage ist. Ergebnis: Auf den ersten Blick kein Bett. Zumindest nicht für mich allein. „Naja, dann hätte ich gerne stattdessen ein Bier und Strom zum Handyladen.“
Und da saß ich nun recht kaputt in der Schevenhüttener Montagsstammtischrunde. Nach 20 km und einem heißen Tag war das kühle Bier besonders lecker. Die Männer waren alle super nett. Und sie hatten eine klare Mission: „Wir finden für die junge Frau ein Bett.“ Der Superwirt hat mir zugenickt, ich könne mich drauf verlassen. Achso. Ok. Ich dachte ja, die Männer schauen in ihren Handys nach den nächstgelegenen Hotels oder Taxen oder so. Aber nein: Die eigenen Frauen wurden angerufen und ums Bettherrichten gebeten! Soooo lieb!
Und dann das unglaubliche Angebot von Held M – in etwa so: „Ich übernachte bei meiner Freundin. Du kannst allein in meinem Haus schlafen. Das ist hier gleich ums Eck. Muss nur nochmal kurz ein bißchen Ordnung machen gehen. Dann zeig ich dir alles.“ – Einfach unfassbar.
Mein kleines Bierchen wurde mehrmals ungefragt aufgefüllt, der Superwirt hat mir eine leckere Pizza gebacken. Gezahlt hab ich nichts, denn laut Superwirt „ist schon alles bezahlt“. Da müsse man in Schevenhütte ganz schnell sein. Zu gerne hätte ich auch einen Stempel von der Kneipe bekommen – stattdessen durfte ich mich über einen Bierdeckel als Pilgerausweis-Sonderbeilage freuen.
Die Übernachtung in diesem urigen Häuschen. Dieses wunderbare Vertrauen. Diese Hilfsbereitschaft. Das hat mich alles sooooo glücklich gemacht. Ich bin noch (mindestens) den ganzen Folgetag mit einem breiten Grinsen durchs Gesicht rumgelaufen. Einfach schön!
Was mich im Zusammenhang mit den vielen Kirchenbesuchen so beschäftigt hat
Achtung – wie die Überschrift schon vermuten lässt, folgt in diesem Abschnitt einiges zu Jesus, Leiden, Schuld und so. Wen’s nicht interessiert, einfach überspringen 😉
Ist die katholische Inneneinrichtung noch up to date? Praktisch waren die Aufenthalte in den Kirchen allemal: kühle Orte zum Verweilen, Schuhe ausziehen, Pilger-Journal schreiben und in einigen sogar Handy aufladen. Und natürlich die Stempel- und Kerzenrituale vollziehen. Aber wie steht’s um die Deko?
Ja, eindeutig bei einer rhethorischen Frage ertappt. Die oben rechts abgebildete Figur war eine Ausnahme. Sie hatte auf mich schon eine deutlich aufbauendere Ausstrahlung als die übrigen Jesus-Darstellungen in den ca. 30 besuchten Kirchen. Ich hab so viele gepeinigte Jesusse getroffen und Kreuzwegstationen begutachtet. So viele traurig dreinblickende Heilige, die ich am liebsten getröstet hätte. Da blieb es nicht aus, unterwegs über Schuld und Leiden und Sinnhaftigkeiten zu kontemplieren.
Wo genau sind die Mut spendenen, Optimismus ausstrahlenden, humorvollen und gut gelaunten Heiligen abgeblieben? Macht Heiligsein etwa gar keinen Spaß? Oder waren all die Heiligen eigentlich echt coole Typen und werden nur durch die entsprechend beauftragten Künstler so trübsinnig dargestellt? Wir posten heute nur noch Hochglanzbilder von uns und geben gerne vor, dauerhappy zu sein – war früher hingegen Dauertrübsal in? Beide Bildwelten für sich empfinde ich als seltsame Verzerrungen. Beides gehört dazu. Freud und Leid. Höhen und Tiefen. Glücklich, wer sich in allen Etappen gut zurechtfindet. Ich hoffe, dass keiner aus meinem Leben mal ein Trauerfotoalbum über meine Leidensstrecken bastelt. Jesus würde sicher heute auch nicht nur Bilder vom Kreuzweg bei Instagram hochladen, sondern auch seine Gleichnisse und Eindrücke der vielen guten Momente. Der Mix macht’s doch. Und auch all den übrigen Heiligen sollte man meiner Meinung nach definitiv ansehen, dass Gutestun Freude macht. Im Idealfall regt es zum Nachahmen an.
Was würde Jesus wohl erzählen, wenn er heute das „Gleichnis vom Mann und dem Kreuz“ posten würde?
Die Geschichte seiner letzten Stunden gibt ja schon eine ganze Menge her. Vermutlich würde er diejenigen Aspekte und Analogien herausgreifen, die sein Publikum gerade am dringensten zur persönlichen Weiterentwicklung benötigt. Also so adaptiveleadershipartig. Den Menschen genau dort abholen, wo er gerade steht und genau wie er da gerade steht. Mit seinen jeweiligen Voraussetzungen, Wünschen, Schwierigkeiten und Rahmenbedingungen.
Themen könnten beispielsweise sein:
- Schuldgefühle? Done. Das „Gleichnis vom Mann und dem Kreuz“ könnte er zum Beispiel wie folgt abschließen: Gut, dass der Mann mit dem Kreuz schon für all unsere Sünden gelitten hat. Dann müssen wir es nicht mehr tun. Schuldgefühle machen nämlich absolut keinen Sinn. Sie werfen uns in die Vergangenheit, trennen uns vom gegenwärtigen Moment und damit von Gott (oder wie immer wir das nennen wollen). Also: Lass Schuldgefühle jeglicher Art los – gib sie einfach dem Mann mit dem Kreuz – der kann offenbar so einiges (er-)tragen. Und dann: Sei schnell wieder im Augenblick!
- Gönn dir eine Leid-Pause. Vielleicht würde er ein anderes Mal eher auf das Gewicht des Kreuzes eingehen. Es wiegt am Ende genauso viel wie am Anfang. Warum wirkt es jedoch zunehmend schwerer? Von Zeit zu Zeit hilft eben einfach nur noch eins: Absetzen, Pause machen, Durchschnaufen. Und das möglichst rechtzeitig. Glückspilze finden zudem Mitträger. Der Mann am Kreuz hatte mit Simon auch kräftige Unterstützung. Das ist ein Segen. Hilfe annehmen und dann kann’s weiter gehen. Mit oder ohne Leid. Sing: Na na nana na. Leid is light. Na na nana na. Light!
- Ups. Schon wieder verurteilt. Einen Unschuldigen verurteilen könnte dir nicht passieren? Schon mal geschafft, jemanden nicht innerhalb von 5 Sekunden in eine Schublade zu stecken? Welche Zuschreibungen hast du alleine mir hier beim Lesen schon verpasst? Siehste! Diese reflexartige Einsortierung in Freund/Feind, gut/schädlich bzw. „gefällt mir? ja/nein“ mag ja evolutionär bedingt sinnvoll sein und einen vor so manchem mehr oder weniger großen Unheil bewahren. Doch warum nicht über die eigenen ständigen blitzschnellen Vor-Urteile lächeln und sie einfach erstmal wieder über den Haufen werfen? Denn: Es kann auch immer alles ganz anders sein. Fragen und Zuhören hilft da ganz gut.
- Widerstand ist zwecklos. (sorry, zu viel Star Trek im Speicher) Oder eher unnötig? Eine für sein heutiges Publikum sicherlich spannende Frage wäre: „Wie hat der Mann dieses Leiden eigentlich ertragen, ohne wütend zu werden, sich wehren zu wollen, nach Schuldigen zu suchen und Rachegedanken zu entwickeln?“ Kein guter Actionfilm ohne Wut und Rache, aber im wahren Leben hätten wir gerne Frieden? Na, das soll das Unterbewusstsein erstmal alles richtig einsortieren. Der Mann mit dem Kreuz hat jedenfalls keinen Widerstand geleistet. Er hat seinen Peinigern nicht auf die Hände oder vor den Kopf geschaut, sondern in ihr Herz. Er hatte Mitgefühl mit ihnen. Verständnis für ihr Handeln. Hat Liebe und Geduld aufgebracht. Wie ihm das gelungen ist? Er hat sein eigenes Herz mit Liebe befüllt. Ständig. Und ganz wichtig: auch sich selbst hat er nicht bemitleidet (was heute doch eine weit verbreitete Angewohnheit ist), sondern sich stattdessen selbst getröstet und Mut zugesprochen. Er hat angenommen, was ist. Mit dem Vertrauen, dass alles gut ist, wie es ist. Na, wenn das mal kein gutes Vorbild ist. Also auf geht’s: Herz mit Liebe befüllen und Mitgefühl üben. Und irgendwann ist Widerstand nicht mehr zwecklos, sondern schlichtweg nicht mehr nötig. Nicht mehr nötig, da gar keine Not empfunden wird. Sondern nur noch Liebe.
In diesem Sinne bzw. mit allen Sinnen wünsche ich allen, die bis hierher gelesen haben: ALLES LIEBE! …und allen anderen natürlich ebenso.
Und jetzt?
Der Weg geht weiter. Was sonst?
Wie der Weg eigentlich anfangen hat?
Dazu der folgende Artikel vom 29. Juni 2020:
Einfach gehen. Geht das?
Ich gehe. Nicht mehr und nicht weniger. So der Vorsatz. Dabei ist mir eigentlich schon klar, dass es vermutlich eher mehr als nur das wird.
Mehr kann ich gut. Weniger kann ich nicht gut. Das will ich üben.
Wo? Woher? Wohin?
Und zwar auf dem Jakobsweg von Wuppertal nach Aachen. Die Pilgerreise ins spanische Santiago de Compostela beginnt an der eigenen Haustüre. Früher hat sich gar nicht die Frage gestellt, welchen Weg man geht und wo man zum Starten hinfliegt. So werde auch ich einfach da starten, wo ich bin.
Der meiner Haustür nächstgelegene Jakobsweg startet an der Klosterkirche in Wuppertal-Beyenburg und führt in 8 Etappen über Köln nach Aachen. Ca. 150 km einfach gehen. Einfach? Das wird sich zeigen.
Wann?
Start: 17. Juli 2020
(Das wurde dann doch ein paar Tage später.)
Womit?
… ist in diesem Zusammenhang ein herausforderndes Fragewort und begleitet mich seit dem Pilger-Entschluss. Pilgern beginnt offenbar nicht nur an dem Ort, an dem ich losgehe, sondern an dem Zeitpunkt, ab dem ich darüber nachdenke.
Der Wunsch, irgendwann mal alleine loszulaufen, kommt bei mir schon seit 2012 immer mal wieder hoch. Als ich mich damals auf den Brustkrebslauf vorbereitet habe (und das war nur ein 2-km-Walk), hat meine Schwiegermutter eher spaßeshalber gemeint „Irgendwann läufst du noch auf dem Jakobsweg.“ So ganz losgelassen hat mich dieser Gedanke nie. Doch hat es irgendwie an Entschlossenheit und Anlass gefehlt, das innere Faultier zu überwinden.
Seit 2014 schätze ich es, jedes Jahr 2-3 mal für eine Woche in einem Schweigeretreat im Allgäu aufzutanken. Letztes Jahr eine dreiwöchige Pilgerreise mit (mir zuvor unbekannten) wunderbaren Menschen nach Indien – da passt doch für dieses Jahr als Gegenstück eine Reise ganz in die Nähe ganz mit mir alleine.
Warum das Fragewort „Womit?“ jetzt herausfordernd sein soll? Naja, beim Pilgern stellt sich ja für mich eher die Frage „Wo-ohne?“ Also auf was will ich verzichten. Was will ich zu Hause lassen. Und viel interessanter: Auf was glaube ich, nicht verzichten zu können?
Ziel: maximal 6 kg auf dem Rücken. Gut, das ist eine praktische Rahmenbedingung, die schon mal dazu führt, dass ich die 1,5-kg-Kamera zu Hause lasse. Tatsächlich. Der Entschluss, die Kamera zu Hause zu lassen, ist mir schwer gefallen. Heute muss ich darüber schon schmunzeln. Was hat mich denn da geritten, überhaupt darüber nachzudenken? Dieser bescheuerte Drang nach Perfektionismus. Das ist definitiv etwas, was weniger werden darf. Und das Faultier, das bleibt natürlich auch zu Hause. Mitkommen darf auf jeden Fall mein Panini-Heft – also der Pilgerausweis, in dem ich unterwegs die Jakobsweg-Stempel einsammele, die Powerbank fürs Handy und mein Pilger-Journal:
Wozu?
Ach, das sind ganz einfache Aspekte in meinem Zielfilm: gehen & atmen, gesteigertes Körperbewusstsein, Sinne verfeinern, Naturverbundenheit erleben, Bewegung im Außen & gleichzeitig Ruhe und Stabilität im Innen. Frieden halt. Und dann natürlich noch: mit jedem km etwas mehr Ego zurücklassen. Einsichten gewinnen wäre auch ganz nett.
So viel zu meiner Bescheidenheit 😉 Mal sehen, wie nahe ich meinem Zielfilm auf diesen ersten 150 km komme.
Wer?
Das ist nun inzwischen klar. Oder vielleicht doch nur bedingt? Natürlich pilger ich allein. Welche Rollen, welche Hüte, welche Identifikationen schleppe ich mit in meinem Rucksack? Welche tun mir gut? Welche ziehen mich runter? Mit welchen Gedanken, Emotionen und Empfindungen identifiziere ich mich? Von was möchte ich mich mehr lösen? Welche Menschen, Projekte, Ideen packe ich bewusst oder unbewusst auch mit in den Rucksack? Das wird sich unterwegs zeigen. Oder auch nicht. Mal sehen.
Wie?
Agiles Pilgern – was man nicht alles agil machen kann?! Auf meine Pilgervorstellung passt das aber ganz gut. Projekte, für die eine agile Vorgehensweise besser geeignet ist als eine klassische, sind insbesondere Change-, Entwicklungs- und Innovationsprojekte (ja, passt) und diese zeichnen sich u.a. wie folgt aus:
- Dauer und Umfang der zu erledigenden Aufgaben sind unklar. | Ich weiß nicht, wie viele km ich tatsächlich pro Tag schaffe und wie die Wetterbedingungen sind.
- Anforderungen, Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden sind unklar. | Kunde bin bei diesem Projekt nur ich. Welche Bedürfnisse ich in der Zeit habe, ob mir das Gehen leicht oder schwer fällt, ist unsicher.
- Ideen und Erkenntnisse während des Projektverlaufs sind unklar. | Eben diese Erkenntnisse sind ja ein gewünschter Nebeneffekt des Pilgerns und können nicht vorab klar sein.
Jetzt könnte ich weiter rumagilen und muss schon wieder feststellen: einfach nur gehen, ist echt schwer für mich. Aus allem mach ich gerne gleich ein Projekt und will es in irgendwelche Konzepte packen. Daher:
Mehr kann ich gut.
Weniger kann ich nicht gut.
Das will ich üben.
Rituale – Bei all der Flexibilität und Offenheit, die meine Pilgerreise von mir erwartet, braucht es für mich auch Rituale und eine geeignete Struktur. Folgende habe ich mir zurecht gelegt:
- Sitzmeditation morgens, mittags und abends
- jeden Tag eine Postkarte an einen lieben Menschen schicken
- Pilger-Journal schreiben/malen
- jeden Abend über Plant for the Planet Bäume pflanzen
Wer mir und der Natur eine Freude machen will, kann mir hier gerne jederzeit weitere Bäume schenken: einfach RITTERCOACHING eintragen und Baumprojekt auswählen.
Ich freue mich – versprochen!
Etappe 0 – Von der Haustür zum Startpunkt
Ich nehme es gerne sehr genau. Wenn ich also sage, der Pilgerweg beginnt vor der Haustür, dann bedeutet das in meinem Fall, dass ich vor dem eigentlichen Start am 17. Juli 2020 bereits einmal von meiner Haustür bis zum Startpunkt gegangen sein muss.
Und das hab ich gemacht. Am Mittwoch, den 24. Juli 2020 bin ich 18 km von zu Hause in Wuppertal-Elberfeld zur Klosterkirche in Wuppertal-Beyenburg gegangen. Und zwar sogar recht spontan. Am Nachmittag hatte ich irgendwie so ein Kreativloch und wusste kurz nichts mit mir anzufangen. Und schwups, da war ich auf einmal umgezogen und bin gestartet.
Von ca. 16:45 Uhr bis 20:30 Uhr bin ich gegangen. Eine kurze, erfreuliche Pause hat sich ergeben, als mich ein vierblättriges Kleeblatt am Wegrand angelacht hat. Ansonsten bin ich bei wunderbarem Wetter einfach beflügelt durchgegangen. Dann saß ich ca. 1 Stunde im Klostergarten, hab in mein Pilger-Journal geschrieben und mich gefreut, bevor ich mit Bus und Bahn wieder zurück gefahren bin. Das blumige Titelbild ist an der Klosterkirche entstanden.
Etappe 1-8 Von Wuppertal-Beyenburg bis Aachen
Ob ich über meinen eigentlichen Jakobsweg dann einen weiteren Artikel schreibe? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das ist wie mit Krebs- oder Weltreiseblogs – es gibt schon unzählige. Sie können inspirieren. Worauf es ankommt, ist jedoch das eigene Erleben.
Mehr oder weniger Wichtiges
Veröffentlicht am: 24. Dezember 2020 | RITTERCOACHING Rüstkammer
Ersterscheinung am: 1. August 2020 | 29. Juni 2020 | LinkedIn
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Bildnachweis: RITTERCOACHING | Plant for the Planet